Nerd-Umgang

Gespeichert von Erik Wegner am/um
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Aus der Diskussion heraus kam die Frage, welche Umgangsform bei Wikipedia gelebt wird. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass Wikipedia Nachwuchssorgen und Autorenschwund hat. Als einer der Gründe wird der raue Umgangston in der Wikipedia-Gemeinschaft angegeben.

Die tatsächlichen Begebenheiten kann ich nicht beschreiben. Aus meinem Erleben weiß ich aber, dass Gemeinschaften eine Entwicklung durchleben und dabei Normen festlegen. Es bildet sich ein gemeinsames Verständnis heraus, was im Umgang akzeptiert ist und was verpönt wird.

Ein Neuling in der Gemeinschaft muss in diese akzeptierten Verhalten erst eingeweiht werden. Ob dies in der Verantwortung des Einsteigers liegt, oder als Aufgabe der Gemeinschaft gesehen wird, stellt eine Facette der Umgangsform dar. Darüber entscheidet sich auch, ob die Gemeinschaft als verschlossen oder offen gesehen wird.

Die Situation bei Wikipedia ist von einem weiteren Aspekt geprägt: die Gemeinschaft agiert vorangig im virtuellen Raum. Die Online-Kultur hat andere Spielregeln. Während Menschen beim persönlichen Kontakt einen freundlichen und zurückhaltenden Umgang pflegen, lassen sie online die virtuelle Sau raus. Die gegenwärtige Hassenreden-Debatte zeigt, dass Anonymität oder Pseudonyme keine Voraussetzungen sind, zweifelhafte Kommentare zu veröffentlichen.

Erstmal sehe ich hier drei Gruppen:

Auf der einen Seite die Mailinglisten-von-Anfang-an-online-Nerds. Sie haben die technische Entwicklung mitgelebt. Vom Modem zu LTE, von Boards über Mailinglisten haben sie die Grenzen der Möglichkeiten erforscht. In jedem sich bildenden Raum gab es geschriebene und ungeschriebene Regeln. Der Beitritt in diese Gruppen erfordert Eigeninitiative und -beiträge in Form von technischem Verständnis, bspw. Konfiguration der Software oder durch Nachweis von Sachwissen. Für diese Gruppe hat Fefe drei deutliche Artikel veröffentlicht: Artikel 1, Artikel 2, Artikel 3. Darin beschreibt er größtenteils sein eigenes Verständnis, wie Menschen miteinander umgehen. An vielen Stellen finde ich mich wieder und kann dem zustimmen. (Falls die Seite irgendwann mal verschwindet, archiviere ich die Texte hier Artikel 1, Artikel 2, Artikel 3.)

Durch den zeitlichen Verlauf gibt es nun die Gruppe der Menschen, die bereits mit dem Fortschritt aufwachsen. Und da kann ich schon nicht mehr soviel sagen. Youtuber, Twitch, Emoji — einerseits nur die nächste Version von Blog, Podcast und Smiley. Aber doch schon eine eigene Kultur mit eigenen Regeln.

Dazwischen befinden sich die Menschen, die jetzt einen Zugang finden. Whatsapp, Instagram, Facebook sind die größten Beispiele dafür, wie sich Gemeinschaften mit sehr niedrigen Einstiegshürden bilden. Das Ergebnis ist, dass der schnellen Wandel keine Zeit lässt, Regeln auszuhandeln. Dazu kommen die Unterschiede, wenn Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen mit ihrem bisherigen Selbstverständnis sich auf einer Plattform bewegen. Wir schmunzeln, dass Facebook Brüste zensiert. Die Amerikaner ebenfalls, wenn wir ihre kostbare Meinungsfreiheit bei uns eingeschränkt werden soll. Ich sehe gerade, passenderweise hat der 32c3 das Motto Gated Communities.

Isolation http://xkcd.com/1601/

Muss man sich Sorgen machen? Auf lange Sicht, nein.

Kurzfristig wird es extreme Ausdrucksformen geben, z. B. in Form der Facebook-Hasskommentare. An diesen Stellen kann sich der Konsens bilden, wenn sich über Grenzen und Verstöße gesellschaftlicher Normen ausgetauscht wird. Wie das in den Konzern-geschützten Gemeinschaften funktionieren kann, weiß ich auch nicht.

Kann dies ein Weg sein? Immer wieder kodifizieren, was sein soll und was nicht? Wie können solche Regeln wieder auf den Prüfstand? Wie werden die Regeln bekannt gegeben? Wie werden die Regeln angepasst? Darauf braucht es Antworten.